Montag, 21. November 2005

Der erste Gedanke

Ich weiß nicht mehr, wie alt ich war, als mir die ersten unbewussten Gedanken über das Sein und das NichtSein kamen. In jedem Fall war ich noch sehr jung, vielleicht vier oder fünf. Es war ein Gefühl, das heute nur noch schwer zu beschreiben ist. Es konnte immer wieder kommen, jederzeit und überall. Wenn ich im Sandkasten spielte, an einem Regentag am Fenster wartete, bis ich draußen spielen konnte oder wenn ich im Sommer in unserem Garten neben meinem Vater stand und dabei zusah, wie er den Grill anzündete. Meine Erinnerungen an dieses Gefühl, das dann so plötzlich über mich kam, sind nicht durchweg positiv. Oft war das Gefühl beängstigend, ich fing an zu weinen oder flüchtete zu meiner Mutter, die dann mit einem völlig aufgelösten Kind kaum etwas anzufangen wusste, außer es zu trösten.
Während ich also so da saß oder meine Zeit mit einer langweiligen Tätigkeit verbrachte, meine Gedanken schweifen ließ, kam es manchmal, dieses merkwürdige Gefühl und die beängstigenden Gedanken: Was ist, wenn ich gar nicht bin? Was, wenn das alles hier um mich herum, mich eingeschlossen, einfach nur ein Traum, eine Illusion ist? Vielleicht wache ich schon morgen auf und bin ein Riese. Groß und hässlich, unsensibel und gemein. Meine Eltern gibt es in Wirklichkeit gar nicht und ich bin schon sehr alt... Vielleicht ist das die Wirklichkeit. Und jede Nacht legt sich dieser Riese hin und träumt: lang und ausgiebig, von einem kleinen Mädchen, das er gerne sein würde. Möglicherweise hatte sich der Riese gerade erst wieder zum Schlafen hingelegt und ich konnte mich nur nicht daran erinnern, dass ich eine Illusion war!
Ich stellte mir vor, ich sei dieser Traum, dieses geträumte Leben und würde in Wirklichkeit gar nicht existieren, jedenfalls nicht auf diese Weise.
Das war beängstigend, in meinem Kopf hämmerte der Gedanke "was, wenn ich gar nicht ich bin"?! Ich konnte dieses Gefühl nicht verdrängen, nichts dagegen tun, die Gedanken kamen und gingen, wie sie wollten, überfielen mich am helligten Tag, wo auch immer ich war, was auch immer ich tat.

Wann das Gefühl wegblieb, weiß ich nicht mehr. Aber heute fühle ich es kaum noch. Scheinbar habe ich irgendwann begonnen, meinen Verstand der gesellschaftlichen Realität anzupassen und versucht, erwachsen und vernünftig zu werden. Ich habe gemerkt, dass ich bisher nie als Riese aufgewacht bin und die Wahrscheinlichkeit, dass dies irgendwann passiert, verringert sich mit jedem Tag, den ich älter werde.
Doch warum bin ich so sicher? Garantieren kann mir keiner, dass wenigstens ein kleiner Teil meiner gedänklichen Ausflüge der Kindheit wahr sind und dass die Realität, so wie ich sie "wahr - nehme", gar nicht existiert... Dies im Bewusstsein zu verankern und sich hin und wieder an das unangenehme Gefühl zurück zu entsinnen, wäre gar nicht schlecht!
Imke-Hinrichsen - 21. Nov, 09:54

wow... wer so früh und von ganz alleine angefangen hat sich solche existenzgedanken zu machen, der hat ja quasi die philosophie für sich gepachtet...
bin gespannt auf weitere beiträge;)

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